Regionale Runden

Es gab nicht nur keine Einigung, es gab nicht einmal ein Angebot: Neun regionale Tarifverhandlungen für die chemische Industrie sind im Oktober ergebnislos zu Ende gegangen. Die IG BCE ging mit einem komplexen Zukunftspaket in die Gespräche, das neben einer zusätzlichen tariflichen Pflegeversicherung auch Qualifizierung für den digitalen Wandel und ein „Zukunftskonto“ vorsieht, auf das Arbeitgeber pro Beschäftigtem jährlich tausend Euro einzahlen sollen. Damit würden Beschäftigte mehr Entscheidungsfreiheit über Zeit oder Geld erhalten.

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Im Tarifbezirk Nordrhein begannen die regionalen Verhandlungen mit den Arbeitgebern.

Foto: © IG BCE

Für die Gehälter verlangte die Gewerkschaft spürbare Verbesserungen. Geführt wurden die gewerkschaftlichen Tarifkommissionen auf regionaler Ebene von den jeweiligen Leitern der IG-BCE-Landesbezirke.

Auf Arbeitgeberseite, so berichteten die Verhandlungsführenden anschließend, war an allen Orten nur von Krise die Rede. „Dabei beziehen sie sich auf Zahlen, die wir nicht nachvollziehen können, weil sie nicht öffentlich zugänglich sind“, kritisierte die Landesbezirksleiterin der IG BCE in Baden-Württemberg, Catharina Clay. Die Gewerkschaft beziehe sich dagegen auf Daten des statistischen Landesamtes. Danach betrage das Umsatzwachstum für die Branche in diesem Bundesland 2,8 Prozent.

Von so einer unterschiedlichen Sicht auf die wirtschaftliche Lage waren alle regionalen Tarifverhandlungen geprägt. Ob die von den Arbeitgebern zitierte Rezession überhaupt komme, sei fraglich, sagte der Leiter des IG-BCE-Landesbezirks Nord, Ralf Becker, und hielt den angeblichen Umsatz- und Produktionsverlusten die immer noch erzielten Gewinne entgegen. Sein Kollege Frank Löllgen vom Landesbezirk Nordrhein verwahrte sich gegen das Reden von einer Krise, die „fast schon mit 2009 vergleichbar ist“, und sah für 2020 eher Hoffnung.

Volker Weber, Landesbezirksleiter der IG BCE in Hessen-Thüringen, machte seiner Frustration Luft: „Schwierige Zeiten erfordern strategisches Denken. Doch dazu sind die Arbeitgeber offensichtlich nicht in der Lage“, sagte er am Ende der Auftaktverhandlung in Wiesbaden am 1. Oktober. Der Leiter des Landesbezirk Nordost Oliver Heinrich kommentierte das „Null-Angebot“ der Arbeitgeber am 15. Oktober in Berlin mit Ironie: „Ich wusste gar nicht, dass wir uns im Krisenjahr 2008 befinden“.

Dabei hatten sich Arbeitgebervertreter an mehreren Orten sogar anerkennend zu den konstruktiven Antworten der IG BCE auf die Herausforderungen der Industrie geäußert. Die Arbeitgeber hätten deutlich gemacht, „dass sie unsere Forderungen richtig und wichtig finden“, berichtete Catharina Clay, doch sie „wollen sie lieber betrieblich regeln“. Hätten sie das getan, dann „müssten wir das nicht in den Tarifvertrag schreiben, so Clay. „So aber bleiben wir dabei: wir brauchen Entlastung für die Beschäftigten“. Roland Strasser, Leiter des IG-BCE-Landesbezirks Rheinland-Pfalz, fand es „merkwürdig und befremdlich“, dass die Arbeitgeber viele gewerkschaftliche Ideen gut fanden und dennoch argumentierten, die wirtschaftliche Lage lasse keine Tariferhöhung zu. Ralf Becker kritisierte, dass die Arbeitgeber die „Senkung der Personalkosten als einzige Lösung für ihre persönliche Krise sehen“.

Aus Sicht der Gewerkschaft geht es um eine Krisenfestigkeit der Industrie in viel längerer Perspektive. Deshalb nimmt sie bei ihren Forderungen sowohl die demographischen Veränderungen bei den Arbeitenden als auch den technologischen Wandel durch die Digitalisierung in den Blick. „Kein Arbeitsplatz wird so bleiben, wie er heute ist“, erklärte Ralf Becker. „Qualifizierung dient nicht nur der Karriere, sondern ist erforderlich, um den eigenen Arbeitsplatz dauerhaft besetzen zu können. Deshalb bedarf es einer Qualifizierungsoffensive begleitend zur Digitalisierung“. Angesichts steigender Zahlen von Pflegefällen soll die tarifliche Zusatzversicherung Arbeitende für den Pflegefall besser absichern. Ihrer Entlastung dient auch das Zukunftskonto, über dessen Verwendung frei verfügt werden und das so auch in mehr freie Zeit umgesetzt werden kann.

„Die Arbeitgeber haben die Botschaften nicht verstanden und die Zeichen der Zeit in keiner Weise erkannt“, gab Beate Rohrig, Leiterin des IG-BCE-Landesbezirks Bayern, am Ende der ersten Verhandlungsrunde zu bedenken. Sparen an den Beschäftigten sei Sparen an falscher Stelle, denn sie seien die wichtigste Ressource für die Zukunftsfähigkeit der Branche. „Diese Argumente müssen wir den Arbeitgebern in den nächsten Wochen nahebringen“, so Rohrig. „Das machen wir mit vielfältigen Aktionen, damit sie endlich merken, worum es geht.“ Fortgesetzt werden die Tarifverhandlungen am 21. Oktober in Hannover. Dort wird dann auf Bundesebene verhandelt.