Recht, zu streiken

Durch einen Streik verschaffen sich die Beschäftigten Gehör und Respekt. Kommt es in deinem Unternehmen zum Arbeitskampf, erhältst du als IGBCE-Mitglied eine Streikunterstützung.

Streikende bei AppliChem mit IGBCE-Fahnen und Transparent: Faire Löhne - Gute Arbeit - Tarifvertrag jetzt!

AppliChem-Beschäftigte beim zweiten Warnstreik im August 2023.

Foto: © Wolfgang Lenders

Am 1. und am 20. September 2023, standen beim Lausitzer Energieunternehmen Leag viele Anlagen still. Jeweils einen Vormittag lang bestreikten mehrere Tausend Beschäftigte alle Tagebau- und Kraftwerksstandorte. IGBCE-Fahnen, Transparente und rotes Absperrband mit der Aufschrift „Wir streiken“ hingen vor den Einfahrten zu den Standorten, so auch zum Kraftwerk Schwarze Pumpe. „Heute ist kein Arbeitstag, heute ist Streiktag!“, schallte es aus dem Megafon. Dazu kam ein ohren­betäubender Lärm aus Trillerpfeifen. Die IGBCE hatte die Beschäftigten an beiden Tagen zu Warnstreiks aufgerufen, weil der Arbeitgeber in den Tarifverhandlungen kein akzeptables Angebot vorgelegt hatte und die Beschäftigten mit einer Einmalzahlung abspeisen wollte.

Ein wenig anders ist die Situation beim Darmstädter Chemieunternehmens AppliChem. Dort gab es mittlerweile drei Warnstreiks – am 4. und 5. September sogar über zwei Tage. Die Streiks waren eine Reaktion auf die unnachgiebige Haltung des Arbeitgebers, der sich weigert, mit der IGBCE über einen an die Fläche Chemie angelehnten Tarifvertrag für die Beschäftigten zu verhandeln. Es ist einer der wenigen Streiks, den es in der chemischen Industrie in den letzten Jahrzehnten überhaupt gegeben hat. Aber auch dieses Beispiel zeigt: Um etwas zu erreichen, müssen die Beschäftigten ab und an auf die Straße gehen.

Streik ist Grundrecht

„Ein Streik beziehungsweise Arbeitskampf ist immer das letzte Mittel, wenn es um die Durchsetzung von Arbeitnehmerinteressen geht“, sagt Katharina Stihler, Fachsekretärin in der Abteilung Tarifpolitik und Bundesstreikleiterin der IGBCE. „Durch einen Streik verschaffen sich die Beschäftigten Gehör und Respekt, wenn die Fronten zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite verhärtet sind. Dabei kommt es auf die Beteiligung und die Unterstützung aller Kolleginnen und Kollegen an.

Doch wer darf eigentlich streiken und wie läuft so ein Streik überhaupt ab? Katharina Stihler erklärt: „Der Streik ist ein verfassungsrechtlich geschütztes Grundrecht (Artikel 9 Absatz 3 des Grundgesetzes). Jede Kollegin und jeder Kollege – egal, ob sie Mitglied der IGBCE sind oder nicht – dürfen an einem (Warn-)Streik teilnehmen. Der Arbeitgeber darf das nicht verhindern. Sollte es zu Lohnkürzungen für die ausgefallene Arbeitszeit durch den Arbeitgeber kommen, erhalten Nichtmitglieder allerdings keine Streikunterstützung der Gewerkschaft.“

Als IGBCE-Mitglied bekommst du eine solche Unterstützung in der Regel für die Dauer des Streiks, wenn du länger als drei Monate Mitglied bist und die satzungsmäßigen Beiträge entrichtet hast. Die Höhe der Streikunterstützung richtet sich nach deiner Beitragshöhe, deinem Nettoentgelt und der Gewerkschaftszugehörigkeit. Und auch nur als Mitglied hast du Anspruch auf Rechtsberatung im Falle eines Streiks. Wichtig: Um die Unterstützung zu erhalten, musst du dich am Streiktag in eine sogenannte Streikliste eintragen. Die Listen werden vor Ort von der Streikleitung geführt.

Jeder Streik im Zuständigkeitsbereich der IGBCE muss vom geschäftsführenden Hauptvorstand beschlossen werden. Zuvor finden Koordinierungsgespräche zwischen der zentralen Streikleitung, zu der unter anderem auch Katharina ­Stihler gehört, und den vor Ort betreuenden Gewerkschaftssekretärinnen und -sekretären statt. Parallel dazu gibt es eine umfassende juristische Prüfung durch die Tarifjuristinnen und -juristen, und die Streikaktivitäten werden vorbereitet. Ist der Streik genehmigt, werden Datum und der Zeitraum des Warnstreiks in einem Streikaufruf bekannt gegeben. „Dem Arbeitgeber ist also bekannt, wann genau gestreikt werden soll. Um Gefahr für Leib und Leben oder nicht zumutbare wirtschaftliche Belastungen abzuwenden, bieten wir den Arbeitgebern in Einzelfällen Notdienstvereinbarungen an“, erklärt Katharina Stihler.

Zahlung der Unterstützung ist wichtig für die Streikenden

„Die Teilnahme an einem rechtmäßigen Arbeitskampf stellt dabei keine Verletzung des Arbeitsvertrages dar. Maßregelungen wie etwa Ermahnung, Abmahnung oder gar Kündigung durch den Arbeitgeber wegen der Teilnahme an einem Streik sind verboten“, erklärt ­Stihler. Und noch ein Punkt sei wichtig: „Die Beschäftigten legen zu der im Streikaufruf genannten Zeit ihre Arbeit nieder – und zwar ohne sich vorher auszustempeln.“

Die Belegschaft bei AppliChem ist weiterhin fest entschlossen – wenn nötig, wollen die Beschäftigten öfter und länger streiken. Das erfordert einen starken Willen. „Es ist anstrengend, sowohl körperlich als auch mental“, sagte ein Kollege bei dem zweitägigen Warnstreik Anfang September. „Die Gemeinschaft macht es erträglich. Weil wir alle das Gleiche wollen.“

Je länger ein Streik dauert, desto wichtiger ist deshalb die Streikunterstützung durch die IGBCE. „Dass wir streiken, wird sich beim Geld bemerkbar machen. Da ist es wichtig, dass das Streikgeld von der Gewerkschaft kommt“, erklärt eine Kollegin von AppliChem. Und wenn der Arbeitskampf härter werden sollte, werden die Zahlungen noch wichtiger werden. „Unbefristet streiken – das ginge für viele Kolleginnen und Kollegen ohne Streikgeld gar nicht.“