Zukunftstagung der IGBCE-Jugend

Mehr als nur Party

Die IGBCE Jugend hat sich im Bildungszentrum in Haltern zu ihrer Zukunftstagung getroffen. Das Ziel: möglichst viel praktischen Input mit nach Hause nehmen.  

Gruppenfoto als Zeichen gegen Rechts
Foto: © Leo Kölzer

Mit erwartungsvollen Blicken betritt Alexander Kerwel am Freitag den großen Saal im Bildungszentrum in Haltern am See. „Ich freue mich, dass es nun endlich losgeht und bin gespannt, was uns hier alles erwartet“, sagt der 22-jährige Chemikant. Alex ist einer von rund 80 jungen Menschen, die sich am vergangenen Wochenende zur ersten Zukunftstagung der IGBCE-Jugend getroffen haben. Und gleich zu Beginn wird es hitzig in Haltern. Nach Input-Vorträgen zu den anstehenden Europawahlen stellen sich die beiden Europaabgeordneten Dennis Radtke (CDU) und Tiemo Wölken (SPD) den Fragen der Jugend. Schnell entwickelt sich eine hitzige Diskussion zwischen den beiden Politikern.

„Die unterschiedliche Haltung der beiden Parteien zu bestimmten Themen waren unmissverständlich“, findet auch Alex. „Die Deutlichkeit in der Auseinandersetzung hat mich schon überrascht.“ Die Jugend hebt in der Diskussion ihre ablehnende Haltung zu unbezahlten Praktika hervor und verdeutlicht die Wichtigkeit der chemischen Industrie in Europa. Passend dazu stellt der Abteilungsleiter Politik und Internationales der IGBCE, Nils Hindersmann, auch das neue Europabüro der IGBCE in Brüssel vor, dass in direkter Nachbarschaft der europäischen Institutionen die starke Stimme der IGBCE vertreten wird. „Mir war nicht klar, dass wir mit der IGBCE über IndustriALL so gut auf EU-Ebene vernetzt sind, da macht das neue Büro einfach nur Sinn“, findet Alex.

Es ist Alex zweites deutschlandweites Jugendtreffen der IGBCE. Der Dresdner arbeitet bei der Wacker Chemie AG im Werk Nünchritz und ist Mitglied des Bundesjugendausschusses (BJA) Dresden-Chemnitz. Als leidenschaftlicher Ehrenamtler sehnt er sich wie die meisten Teilnehmenden nach konkreten Maßnahmen, nach Handlungen, die einen echten Einfluss auf die Zukunft der Jugend haben könnten. Sein Blick strahlt Entschlossenheit aus, als er über seine Beweggründe für sein gewerkschaftliches Engagement spricht. „Unsere Generation steht vor mehreren Mammutaufgaben gleichzeitig und wer mitgestalten will, muss sich einbringen. Das geht bei der IGBCE ganz besonders gut.“ So wie Alex geht es auch Kerem Kizakli. Der 22-Jährige ist frischgebackener Chemikant bei der BASF in Ludwigshafen. „Ich komme gerade erst aus der Ausbildung und habe mein Leben noch vor mir und manchmal weiß ich nicht, wie es bei all den Themen weitergehen soll.“ Klimawandel, Digitalisierung, demografischer Wandel, globale Handelsbeziehungen. Gefühlt könne er ewig aufzählen. „Es geht um nicht weniger als die Gestaltung unserer Zukunft.“

Impressionen von der Zukunftstagung

Am Samstag, dem zweiten Tag der Tagung, geht es für Alex, Kerem und die anderen Teilnehmenden dann ans Eingemachte. In fünf sogenannten Dimensionen diskutierten die Nachwuchsgewerkschafter*innen unter anderem über die Tarifrunden 2024, über die JAV- und Europawahlen, Chancengerechtigkeit, Bildung, Mitbestimmung und Beteiligung. Erst in der Theorie und dann in der Praxis. „Die Aufteilung hat mir richtig gut gefallen“, sagt die 22-jährige Navel Noack. Sie arbeitet bei der Leag als Auftragsplanerin und engagiert sich zusätzlich in der Jugend-und Auszubildendenvertretung (JAV) und im BJA. „Durch die Aufteilung waren die Workshops nicht so monoton und auch abwechslungsreiche Mittagspause hat für frischen Wind gesorgt.“

Gemeint war die aktive Mittagspause mit ihren sogenannten Break-Out-Sessions. Wie kriege ich eigentlich als DJ den Übergang zwischen zwei Liedern auf die Reihe? Welche Übungen helfen meinem Rücken, wenn ich den ganzen Tag sitze? Womit halte ich mich geistig fit? Und wie bekomme ich aus einer Farbsprühdose mehr raus als nur ein paar hingeschmierte Buchstaben? Auf all diese Fragen haben die Kolleginnen und Kollegen in den jeweiligen Sessions Antworten bekommen.

Auch Alexander Bercht war bei der Zukunftstagung mit von der Partie. Als Mitglied des geschäftsführenden Hauptvorstandes der IGBCE wollte er vor Ort erleben, wie sich die Jungend mit ihren Themen auseinandersetzt und ihnen ein offenes Ohr schenken. „Der Fachkräftemangel stellt neben dem Klimawandel eine der größten Herausforderungen unserer Zeit dar", betonte er in seinem Impulsvortrag. "Es liegt an uns, innovative Lösungen zu entwickeln und junge Talente zu fördern, um dieser Herausforderung erfolgreich zu begegnen.“ Um der Erwartungshaltung junger Menschen an ihre berufliche Karriere gerecht zu werden, müsse sich in der Arbeitswelt einiges ändern. „Die Jugend will bessere Arbeitszeiten, moderne Arbeitsplätze, sie wollen nachhaltige Betriebe und sie wollen selbst dafür einstehen.“ Das sei hier an diesen Wochenenden ganz besonders spürbar. „Als IGBCE unterstützen wir die jungen Menschen dabei, ihre Vision von einem besseren Leben, von besserer Arbeit in ihren Betrieben umzusetzen.“

Spannend wurde es am Samstagabend noch mal bei einem Fragenhagel, dem sich Oliver Heinrich, Mitglied des geschäftsführenden Hauptvorstandes der IGBCE, zugeschaltet via Teams vor versammelter Mannschaft stellte. Er tauschte sich über konstruktiv über die anstehenden Tarifverhandlungen aus und beantwortete all die Fragen der jungen Aktiven. „Ich habe ein paar Hausaufgaben mitbekommen", sagt Heinrich augenzwinkernd und verspricht: „Ob Angleichung der Tarifverträge in Ost und West oder besserer Schutz vor der Willkür der Arbeitgeber bei Probezeitkündigungen, wir bleiben für unsere jungen Kolleginnen und Kollegen in den Betrieben am Ball.“

Omnipräsent an diesem Wochenende: die AfD. Sowohl in den Ansprachen und Workshops als auch in den Gesprächen der Kolleginnen und Kollegen nach getaner Arbeit. Dementsprechend gut besucht war einer der „Horizonte erweitern“–Workshops am Sonntag, in dem es um Alltagsrassismus ging. „Wir haben uns mit der Frage beschäftigt, wie uns Rassismus in Alltag und Beruf begegnet und was wir dagegen tun können“, berichtet eine der Teilnehmerinnen, die wegen ihrer Hautfarbe selbst mit Rassismus zu tun hatte. „Es hat mir total gutgetan, von den anderen zu hören, wie sie mit solchen Situationen umgehen, sich zur Wehr setzen und unterstützen.“

Auch Bundesjugendsekretär Philipp Hering positionierte sich dazu in seiner Ansprache deutlich: „Wir stehen klar gegen Rechts, wir sind und bleiben laut und wir werden den Kampf gegen diejenigen, die sich unseren Grundwerten als IGBCE und in unserem Land entgegenstellen, weiterführen.“ Klar sei auch, dass niemand, der verunsichert ist, in eine Schublade mit Nazis gesteckt werde. „Nazis bekämpfen wir aber mit aller Entschlossenheit.“ Gleichzeitig wolle man versuchen, diejenigen, die wegen ihrer Ängste, Sorgen und Verzweiflung der AFD auf den Leim gegangen seien, „wieder von unseren Ideen und Werten zu überzeugen. Ich glaube, dass eine Tarifrunde dabei ein guter Ansatz ist.“

Neben dem Workshop zu Alltagsrassismus wurden am Sonntag noch die Workshops zu den Themen Strukturwandel, Industriepolitik aus Sicht der jungen Generation sowie ein Planspiel zu Tarifrunden und Mitgliederversammlungen angeboten. Navel war Teil des Workshops zur Industriepolitik. „Im ersten haben wir uns mit den Problemen der Industriepolitik beschäftigt und haben dann versucht, Lösungsansätze zu entwickeln.“

In der Abschlussrunde wurde Kerem, Alex, Navel und Teilnehmenden eine Dokumentation des Wochenendes überreicht. „Dort wurden noch mal alle Workshops und erarbeiteten Ergebnisse festgehalten, sodass wir uns auch im Nachgang auf die Inhalte berufen können – richtig cool“, findet Kerem. Auch Alex ist zufrieden; „Wir haben eine klare Perspektive, was sich für Auszubildende und junge Menschen ändern muss. Wir wollen mitgestalten und unseren Beitrag leisten, dass die IGBCE-Jugend bereit für die Zukunft ist und mehr macht als nur Party.“



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Foto: © Leo Kölzer
Interview
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