15. SBV-Jahrestagung

"Es geht nicht um Sonderrechte, sondern um die Realisierung der Menschenrechte"

Die 15. SBV-Jahrestagung (31. Mai bis 1. Juni) hat dieses Mal unter dem Motto „Barrierefreie Kompetenz. Gute Arbeit für alle heißt: Teilhabe“ stattgefunden. Die Beteiligten diskutierten unter anderem zum Thema Inklusionsvereinbarung und sie zogen Bilanz dazu, wie es um die Rechte von Menschen mit Behinderung nach vier Jahren Regierungszeit der großen Koalition steht.

Abschlussbild der SBV-Jahrestagung

Die 15. SBV-Jahrestagung der IG BCE fand auch dieses Mal digital statt.

Foto: © IG BCE

Wie entwickelt sich der Arbeitsmarkt für Menschen mit schweren Behinderungen? Wie kann über Inklusionsvereinbarungen mehr Teilhabe hergestellt werden? Und sie sieht es aus mit größeren Mitbestimmungsrechten für Schwerbehinderten-Vertreter*innen (SBV)?

Zu diesen und weiteren Themen haben rund 70 Teilnehmer*innen der SBV-Jahrestagung virtuell diskutiert. Petra Reinbold-Knape, Mitglied des geschäftsführenden Hauptvorstands der IG BCE, wies darauf hin, dass die Arbeitslosigkeit bei Menschen mit Behinderung in der Corona-Krise gestiegen sei. Wichtig sei weiterhin, „wie wir Teilhabe im ersten Arbeitsmarkt generieren“. Es sei geboten, dass Thema Inklusion über die Mitbestimmung zu forcieren – denn der Fachkräftemangel sowie der Anteil von Arbeitnehmer*innen, die im Laufe ihres Lebens schwerbehindert werden, nehme zu. Hintergrund der Bemühungen ist die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention, wie Knape noch einmal unterstrich: „Es geht nicht um Sonderrechte, sondern um die Realisierung allgemeiner Menschenrechte“.

Inklusionsvereinbarung ist wichtiges Thema

Zum Thema Inklusionsvereinbarung gab es weiterhin Gesprächsbedarf. Die Beteiligten waren an einem vorläufigen Zwischenstand interessiert; denn die IG BCE und der Bundesarbeitgeberverband Chemie (BAVC) haben im September 2020 die bundesweit erste Sozialpartnervereinbarung zu Inklusion vereinbart. Die Vereinbarung soll die Teilhabe von Menschen mit Behinderung in Betrieben der Chemie-Branche sicherstellen. Knape machte deutlich, dass man dabei nicht stehen bleiben könne: „Wir brauchen diese Vereinbarung natürlich in allen Branchen. Die Sozialpartnervereinbarung in der Chemie hat Vorbildcharakter für unsere anderen Branchen.“

Die Zielrichtung sei, dass in den nächsten vier Jahren mindestens die Hälfte der Schwerbehindertenvertretungen eine Inklusionsvereinbarung habe. Auch Klaus-Peter Stiller, Hauptgeschäftsführer des BAVC, betonte noch einmal: „Es ist eine wichtige Aufgabe, dass jeder in der Gesellschaft eine faire Chance bekommt – und das hat nicht nur einen ökonomischen, sondern auch einen humanitären Aspekt“.

Politische Veränderungen nötig

Die Diskutant*innen zogen auch Bilanz zu den vier Jahren Regierungszeit der großen Koalition. DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel verwies darauf, dass die Regelungen zur Kurzarbeit insgesamt zwei Millionen Jobs gerettet hätten, wovon auch Schwerbehinderte profitierten. Enttäuschend sei jedoch, dass die Politik sich nicht an das Thema Ausgleichsabgabe gewagt habe. Unternehmen, die nicht die rechtlich vorgeschriebene Zahl schwerbehinderter Menschen eingestellt haben, müssen eine Ausgleichsabgabe zahlen. „Es braucht mehr Druck, damit Unternehmen Schwerbehinderte einstellen“, so Piel. Ein Mittel dafür sei, die Ausgleichsabgabe für sogenannte Nullbeschäftiger zu erhöhen – also Unternehmen, die überhaupt keine schwerbehinderten Beschäftigten haben, die Politik habe das aber nicht durchgesetzt. Positiv aufgenommen wurde das Barrierefreiheitstärkungsgesetz – dadurch soll unter anderem mehr Barrierefreiheit im Alltag gewährleistet werden und Betroffene können beispielsweise jetzt Assistenzhunde zu Ämtern und Behörden mitnehmen. Dennoch: „Barrierefreiheit ist kein Luxusgut, sondern eine Selbstverständlichkeit“, erklärte Piel.

Enttäuscht waren viele insbesondere von der Tatsache, dass die SBVen nun nicht, wie erhofft, mehr Mitbestimmung im Betrieb erhalten. Sie sind daher noch immer nicht im Betriebsrat stimmberechtigt und auf eine direkte Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat angewiesen, wenn sie ihre Interessen durchsetzen wollen; so sind auch Inklusionsvereinbarungen nur mit dem Betriebsrat zusammen umsetzbar. „Beteiligung ist das eine, aber Mitbestimmung ist ja noch was anderes“, meint auch Knape.

Für die Teilnehmer*innen der Tagung ist klar: Zwar wurden in den letzten Jahren auch einige Fortschritte gemacht, aber es gibt noch einige Baustellen - politische Veränderungen sind also weiterhin nötig.

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Foto: © Sabine Winterwerber
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