Energieintensive Industrie

Für einen Brückenstrompreis

Teure Energie, Investitionszurückhaltung, Verlagerungsgefahr, Sparpläne überall. Die energieintensiven IGBCE-Branchen brauchen einen energiepolitischen Befreiungsschlag. Die IGBCE setzt sich in der Politik massiv für einen Brückenstrompreis ein – und erhöht den Druck auf Kanzler Olaf Scholz.

Chemiegipfel

Der IGBCE-Vorsitzende Michael Vassiliadis bei seinem Statement nach dem Chemiegipfel im Bundeskanzleramt in Berlin. 

Foto: © Simone M. Neumann

Schon seit Monaten dringt die IGBCE auf einen befristeten Brückenstrompreis für energieintensive Industrien wie die Chemie-, Papier- oder Keramik-Branche. So hat sie sich der Allianz pro Brückenstrompreis angeschlossen, der unter anderem auch der DGB, IG Metall und mehrere Verbände der energieintensiven Industrien angehören, und unterstützt die frisch gegründete „Allianz zum Erhalt der chemischen Industrie in Deutschland“. Ende September erhöhte die Multibranchengewerkschaft IGBCE den Druck auf Kanzler Olaf Scholz– erst beim Chemiegipfel im Bundeskanzleramt, kurz darauf bei einem Scholz-Besuch im IGBCE-Beirat.

Beim Chemiegipfel im Kanzleramt setzte sich IGBCE-Chef Michael Vassiliadis für die Interessen der von hohen Energiepreisen und überbordender Regulierung gebeutelten Branche ein. „Der Chemiegipfel war ein erster und wichtiger Schritt zur Verbesserung der Standortbedingungen – die Beschäftigten erwarten und brauchen aber mehr“, bilanzierte er nach dem Treffen mit dem Bundeskanzler, mehreren Bundesminister*innen sowie Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten. Die Lage der Chemieindustrie sei „akut dramatisch“, die Branche müsse bei den Stromkosten entlastet werden. „Andernfalls droht der Chemie ein Aderlass, den wir uns weder volkswirtschaftlich noch gesellschaftlich noch klimapolitisch leisten können.“ Die Politik müsse handeln, der Gipfel sei noch „zu kleines Karo“ gewesen.

Dass aber beileibe nicht nur die Chemie von den hohen Energiepreisen stark bedroht ist, machte der 150-köpfige Beirat der IGBCE wenige Tage später klar: Das Gremium hatte den Kanzler zu einem Besuch eingeladen, um Scholz bei dem rund einstündigen, nicht-öffentlichen Treffen von den akuten Ängsten und Sorgen in ihren Betrieben zu berichten.

Bundeskanzler besucht Beirat der IGBCE

Der Bundeskanzler war dabei überpünktlich: Bereits um 8.52 Uhr – acht Minuten vor dem offiziellen Zeitplan - betrat Olaf Scholz den Tagungssaal des Hotels am Berliner Flughafen. Die zusätzliche Zeit war gut zu gebrauchen. In seiner kurzen Begrüßungsrede wies IGBCE-Chef Michael Vassiliadis auf das Bündel der Herausforderungen hin, lobte aber auch die Regierung. Sie sei die erste, die nicht nur Lösungen etwa zum Ausbau der Erneuerbaren Energien und der Netze ins Schaufenster stellt, aber dann nichts oder nur wenig davon umsetzt. „Dies ist die erste Regierung seit Jahrzehnten, die sich ernsthaft den Problemen stellt, nichts beschönigt und sich jetzt wirklich um die Realisierung kümmert.“ Gerade die IGBCE, die überwiegend energieintensive Branchen wie Chemie, Papier oder Keramik vertritt, wisse, wie angespannt die aktuelle Lage sei. Die Probleme würden sich summieren.

„Dennoch sind wir nicht bereit, in die allgemeine Klage und Standortdebatte einzusteigen“, so Vassiliadis. „Denn das Bild, das viel zu tun ist, stimmt zwar. Aber das Bild, das aktuell nichts getan wird von der Regierung, das stimmt nicht.“ Nun brauche es auch einen Standort-Patriotismus der Unternehmen – und einen Brückenstrompreis von der Regierung, um für die energieintensiven Branchen eine Übergangslösung bis 2030 zu bieten – dann soll es laut Ausbauplänen ausreichend günstigen Strom aus Erneuerbaren geben. Er nehme ein Verständnis in der Bundesregierung für die mittel- und langfristigen Problemlagen der IGBCE-Branchen wahr, hob Vassiliadis hervor. „Aber das nützt uns morgen nichts.“

Bundeskanzler zu Besuch beim Beirat der IGBCE
Foto: © Marco Urban

Auch mehrere Beiratsmitglieder meldeten sich zu Wort, berichteten von Investitionsverzögerungen, stillstehenden Anlagen, drohenden Verlagerungen. So sagte Petra Kronen, Gesamtbetriebsratsvorsitzende bei Covestro. „Bei Covestro wird gerade Realität, was man in der Presse liest: Die Kosten laufen aus dem Ruder, die Nachfragesituation ist katastrophal.“ Manche Anlagen im Konzern stünden ganz still, andere würden mit einer Auslastung von unter 50 Prozent laufen. „Wir müssten gerade jetzt investieren, in Nachhaltigkeit, Kreislaufwirtschaft, Forschung und Entwicklung, Fachkräfte, Ausbildung." Aber angesichts überhöhter Energiepreise fehle die wirtschaftliche Kraft, so Kronen. „Egal, was wir tun: Wir müssen es schnell tun“, gab sie Scholz mit auf den Weg. „Uns läuft die Zeit davon“, erklärte auch Gertraud Meyer, Betriebsratsvorsitzende beim Autozulieferer Plastic Omnium. Vassiliadis sicherte Scholz zu: „Bei allen Transformationsvorhaben der Regierung sind wir gern mit dabei. Aber zwischen heute und dem angepeilten Datum 2030 brauchen wir eine Brücke. Mehr wollen wir nicht.“

Der Kanzler zeigte Verständnis für die Sorgen und Nöte. Er erläutert in der vertraulichen Sitzung, welche konkreten Maßnahmen die Ampel-Regierung plant, um beispielsweise den Ausbau der Erneuerbaren und der Übertragungsnetze konkret weiter zu beschleunigen, das Thema Wasserstoff voranzutreiben, die Energieversorgung abzusichern. Auch die Komplexe Fachkräftemangel und Zuwanderung habe man im Blick, ebenso wie die Themen Bildung, Digitalisierung oder überbordende Regulierungen etwa für die Chemie-Industrie. Er machte deutlich, dass man sich um die Rahmenbedingungen des Standorts kümmere. Es brauche insgesamt mehr Tempo in Deutschland.

Konkrete Zusagen allerdings blieben aus. Die IGBCE will nun in den kommenden Wochen den Druck beim Thema Brückenstrompreis weiter erhöhen – unter anderem mit bundesweiten Aktionen in den Betrieben.

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