Ausbildung

Beschäftigte stellen Industrie mehrheitlich schlechtes Ausbildungszeugnis aus

Die Industrie tut zu wenig, um die duale Ausbildung in Deutschland zu stärken, ist als Arbeitgeberin oft zu wenig attraktiv und besetzt in der Mehrheit nicht mehr alle Ausbildungsplätze. Die dadurch wachsende Fachkräftelücke wird zur Standortgefahr für die Betriebe. Das ist der mehrheitliche Tenor einer Umfrage unter Industriebeschäftigten, die die IGBCE zum Start des neuen Ausbildungsjahres (1.8.) durchgeführt hat.

Ausbildungsumfrage Grafik 1

„Die Beschäftigten in unseren Industrien stellen ihren Arbeitgebern mehrheitlich ein kritisches Ausbildungszeugnis aus: Sie nehmen ein mangelhaftes Engagement und fehlendes Problembewusstsein wahr“, sagt Francesco Grioli, für den Bereich Jugend und Ausbildung verantwortliches Mitglied im geschäftsführenden Hauptvorstand der IGBCE. „Jede und jeden Auszubildenden würde man bei diesen Bewertungen warnen: Abschluss gefährdet!“

Unter den Befragten sind 71 Prozent der Meinung, die Industrie tue nicht genug, um die duale Ausbildung zu stärken. Für den eigenen Betrieb sehen das 56 Prozent so. Schon heute könne oder wolle ihr Unternehmen nicht mehr alle angebotenen Ausbildungsplätze besetzen, berichteten 42 Prozent und damit die Mehrheit der Befragten (33 Prozent konnten alle besetzen, 25 Prozent trauten sich keine Einschätzung zu).

Sie betrachten diese Entwicklung mit großer Sorge: 74 Prozent der Befragten halten es für „sehr wahrscheinlich“ oder „eher wahrscheinlich“, dass Nachwuchsmangel und die sich weitende Fachkräftelücke langfristig für ihren eigenen Betrieb zur Standortgefahr werden.

Aus Sicht der Beschäftigten müssen die Unternehmen in den IGBCE-Branchen dringend an ihrer Attraktivität als Arbeitgeber arbeiten: 60 Prozent der Befragten fordern dies ein. Dem eigenen Betrieb (2,9 von 5 möglichen Sternen) wie auch der eigenen Branche (3,4 Sterne) geben sie in der Hinsicht vergleichsweise schlechte Noten. Zu den Kernforderungen, um mehr Ausbildungsplätze zu besetzen, zählen zudem eine Übernahmegarantie in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis (54 Prozent), mehr Investitionen in die Weiterbildung (45 Prozent) und die Ausbildung über Bedarf (42 Prozent).

„Die Ergebnisse decken sich mit dem, was wir leider noch zu häufig in der täglichen Arbeit erleben“, so Grioli. „Viele Arbeitgeber haben das Problem zwar bereits erkannt und arbeiten an Initiativen mit uns. Aber es braucht ein generelles Umdenken in allen Unternehmen und auf allen Managementebenen. Wir laden alle Arbeitgeber dazu ein, mit uns die duale Ausbildung zu stärken. Die Zeiten von Bewerberüberschuss und Bestenauslese sind vorbei.“

Die IGBCE hat deshalb unter dem Motto „Fachkräfte fallen nicht vom Himmel – Ohne Ausbildung keine Zukunft“ eine Offensive gestartet, mit der sie Unternehmen für Unternehmen eine Stärkung der Ausbildung erreichen will. Angestrebt werden dazu bundesweit mehr als 120 Betriebsvereinbarungen bis Ende 2024, in denen unter anderem

  • höhere Zielzahlen für die angebotenen Ausbildungsplätze festgeschrieben werden,
  • die Anforderungen von Stellenausschreibungen, Bewerbungsverfahren, Einstellungstests den neuen Realitäten angepasst werden müssen (bspw. mit Blick auf Schulabschlüsse)
  • die Unternehmen sich verpflichten, selbst mehr in die Aus- und Weiterbildung ihres Nachwuchses zu investieren.

Die Ausbildungszahlen in den IGBCE-Branchen haben bis heute nicht wieder an das Niveau von vor der Corona-Krise anschließen können. Gleichzeitig verschärft sich die Fachkräftelücke in den kommenden Jahren drastisch, wenn die Babyboomer-Generation in den Ruhestand geht. Ohne eine Erhöhung der Ausbildungsquote kommen künftig beispielsweise in der chemisch-pharmazeutischen Industrie auf eine*n neue*n Auszubildende*n drei aus dem Arbeitsleben ausscheidende Beschäftigte.

Ergebnisse der Umfrage

Ergebnisse der IGBCE-Umfrage zur Ausbildung 2023

Theresa Haucke
Theresa Haucke, Schott

„Noch können wir bei Schott unsere Ausbildungsstellen relativ gut besetzen“, erzählt Theresa Haucke. Schott sei ein Name, das Glasunternehmen mit Sitz in Mainz einer der größten Ausbilder in der Region und die Ausbildung qualitativ gut. Sie wisse aber auch, dass kleinere Glasfabriken sehr viel größere Probleme hätten, Auszubildende zu bekommen und Stellen zu besetzen. Für viele sei die Branche nicht attraktiv. Das liege sicher auch an der Bezahlung. Aber auch Schott stößt bisweilen an seine Grenzen: Wegen fehlender Ausbilderinnen und Ausbilder und zu kleiner Räumlichkeiten könne Schott nicht noch mehr ausbilden. „Vor allem in der Schicht haben wir Probleme, Leute zu finden“, so die 25-Jährige. Weil viele Beschäftigte älter seien und in Rente gingen, gebe es viele offene Stellen. „Wir kommen da nicht hinterher. Das lässt sich durch Ausbildung nicht auffangen“, erklärt Theresa. Generell unternehme das Unternehmen ihrer Meinung nach nicht genug, um dem Fachkräftemangel entgegen zu wirken. Schott könnte zum Beispiel finanziell mehr helfen, wenn Beschäftigte einen Techniker oder ein berufsbegleitendes Studium machen möchten. „Da sehe ich mich nur sehr begrenzt unterstützt“, so die gelernte Physiklaborantin.

Jonas Westerhoff
Jonas Westerhoff, Papier- und Kartonfabrik Varel

Jonas Westerhoff begann seine Ausbildung zum Papiertechnologen in der Papier- und Kartonfabrik Varel, weil es ihn faszinierte, den Kreislauf vom Altpapier bis zum fertigen Papier zu sehen: „Die Dimensionen der riesigen, komplexen Maschinen haben mich beeindruckt.“ Aktuell hat die norddeutsche Papierfabrik knapp 30 Auszubildende, die in der Regel übernommen werden. Eine Zeit lang habe es zu wenige Bewerbungen gegeben, das habe sich aber wieder geändert. „Zwar gibt es einzelne Schichten, in denen weniger Beschäftigte arbeiten, aber es ist nicht so, dass wir deswegen nicht mehr produzieren können. Die Mindestanzahl bekommen wir immer zusammen“, sagt der 18-Jährige. Er glaubt, dass das auch in Zukunft so sein wird und die Papierbranche für junge Menschen attraktiv bleiben wird.

Antonia Trapp
Antonia Trapp, Symrise

Der Holzmindener Aromenhersteller Symrise bildet rund 50 Auszubildende jährlich aus. „Wir merken, dass es immer schwieriger wird, die Stellen zu besetzen“, erzählt Antonia Trapp. Das gelte vor allem für die technischen und handwerklichen Ausbildungsberufe. Am längsten dauere es bei den Elektroniker*innen. „Wir versuchen schon viel in Sachen Ausbildung zu machen, müssten aber noch mehr Ausbildungsplätze anbieten“, findet die Chemielaborantin. Mit der JAV-Arbeit bemühten sie sich, die Arbeitgeberattraktivität zu steigern und etwa mehr gemeinsame Freizeitaktivitäten anzubieten. Die 24-Jährige ist sich sicher: „Wir sind Zulieferer für die Lebensmittelbranche, gelten als systemrelevant und sind deswegen auch für folgende Generationen ein gefragter Arbeitgeber.“ Der demografische Wandel mache sich trotzdem schon jetzt bemerkbar. „Zwar läuft die Arbeit weiter, teilweise aber massiv unterbesetzt. Immer ist jemand im Urlaub, immer ist jemand krank, das muss man auch berücksichtigen.“

Vinzenz Winter
Vinzenz Winter, Villeroy & Boch

Vinzenz Winter macht beim Keramikhersteller Villeroy & Boch in Mettlach eine Ausbildung zum Industriemechaniker. In dem Werk werden hauptsächlich Teller hergestellt und Tassen aus dem Torgauer Schwesternwerk dekoriert und glasiert. „Für uns ist es sehr schwierig, Auszubildende zu finden und zu halten“, berichtet der 21-Jährige. Die Konkurrenz sei groß, der Keramikhersteller nicht der einzige Industriebetrieb in der Gegend. Es gebe wenig junge Leute, die sich für eine Ausbildung im Unternehmen interessierten. „Villeroy & Boch macht schon viel, um die Ausbildung zu bewerben. Aber mehr geht natürlich immer“, findet Vinzenz. Das gelte vor allem, weil auch der Porzellanproduzent aufgrund der Altersstruktur der Beschäftigten bald mit dem Fachkräftemangel zu kämpfen haben werde. „Noch merken wir ihn nicht, er wird aber kommen“, ist er sich sicher.

Weitere Informationen

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Fachkräfte fallen nicht vom Himmel
Ohne Ausbildung keine Zukunft

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Interview
„Kein junger Mensch darf durchs Raster fallen“

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