Interview

„Ich glaube da hat sich vieles sehr positiv verändert.“

Zwölf Jahre war Hubertus Schmoldt der Vorsitzende der IGBCE. Der erste überhaupt, der 1997 aus der Fusion der IG Bergbau und Energie mit der IG Chemie-Papier-Keramik und der Gewerkschaft Leder hervorgegangenen neuen IGBCE. Bis 2009 hatte er dieses Amt inne. Am 1. Oktober feiert der gelernte Maschinenschlosser und Vollblutgewerkschafter sein 60. Gewerkschaftsjubiläum. Zu diesem Anlass haben wir ihn im Industriepark Walsrode zu einem Spaziergang getroffen. An dem Ort, wo seine Gewerkschaftskarriere begann. Im Interview erzählt er über seine Ausbildungszeit, seinen Start als Hauptamtlicher und den Grundgedanken gewerkschaftlicher Mitgestaltung.

Hubertus Schmoldt im Interview
Foto: © Kai-Uwe Knoth

Hallo Hubertus, schön, dass du hier bist. Wir wollen heute gemeinsam über deine 60 Jahre Gewerkschaftsmitgliedschaft sprechen und ich freue mich, dass das geklappt hat. Du bist jetzt 60 Jahre Gewerkschaftsmitglied. Was ist das für ein Gefühl?

Es ist ein schönes Gefühl. Dass man das erleben darf und in den sechs Jahrzehnten ist ja viel passiert mit der Organisation, natürlich auch in den Unternehmen, den Branchen, die wir betreuen. Aber ich glaube, dass ich nicht übertreibe, wenn ich sage, dass die IG Chemie und dann die IGBCE in all den Jahrzehnten für ihre Mitglieder eine Menge erreichen konnte.

Du hast damals bei der Firma Wolff im Industriepark Walsrode eine Lehre zum Maschinenschlosser gemacht. Bist du sofort in die Gewerkschaft eingetreten?

Nicht gleich, sondern ein bisschen zeitversetzt. Und danach habe ich mich dann ja um die Jugendvertretung bemüht, habe kandidiert und bin gewählt worden. Wir hatten damals im Unternehmen gut 300 Lehrlinge. Später war ich sogar Vorsitzender der Jugendvertretung. Es war eine schöne Zeit, hat viel Spaß gemacht. Und ich glaube wir haben für die Auszubildenden im Unternehmen das eine oder andere erreichen können.

Warum bist du damals in die Gewerkschaft eingetreten?

Wenn man in einem solchen Großunternehmen mit mehr als 3.000 Beschäftigten arbeitet, kriegt man sofort Kontakt mit dem Betriebsrat, mit der Jugendvertretung und natürlich auch mit der zuständigen Gewerkschaft. Aus diesem Kontakt heraus und aus Gesprächen mit den Ausbildern hat sich bei mir schließlich das Interesse für die Mitgliedschaft ergeben. Ich bin dann im Oktober 1963 eingetreten.

Wie ging es nach der Lehre für dich weiter?

Ich hatte einen sehr guten Betriebsratsvorsitzenden hier am Standort, der mir empfohlen hat, die Hochschule für Wirtschaft und Politik in Hamburg zu besuchen. Das habe ich gemacht. Während dieser Studienzeit hat mich das Unternehmen mit einem Büchergeld unterstützt und man hatte mir auch angeboten, dass ich danach hier wieder tätig werden könnte. Natürlich nicht in dem erlernten Beruf. Aber das hat sich für mich überhaupt nicht ergeben, weil ich ja während meiner Zeit als Jugendvertreter und auch hinterher im Studium aktiv in der Jugend- und Gewerkschaftsarbeit war. Etwa im Jugendhauptausschuss, wie es damals hieß, oder auch in den örtlichen Gremien. Das hat mir so viel Spaß gemacht, dass ich mich nach der Studienzeit in Hamburg bei der damaligen IG Chemie-Papier-Keramik in der Verwaltungsstelle Hamburg beworben habe und die mich Gott sei Dank genommen haben.

Wieso Gott sei Dank?

Es gab damals fünf Bewerber zwei wurden eingestellt. Ich hatte Glück, dass ich unter den beiden war. Bei dem Vorstellungsgespräch im Verwaltungsstellen-Vorstand, hat mich der damalige Betriebsratsvorsitzende von Beiersdorf gefragt, ob ich mir denn mit meinen gerade mal knapp über 20 Jahren zutrauen würde, bei einer Betriebsversammlung vor die Beschäftigten zu treten und dort zu reden. Weiß ich nicht, habe ich ihm geantwortet, ich kann es nur hoffen. Es hat ja dann geklappt.

Kannst du dich noch an den ersten Tag als Hauptamtlicher erinnern? Als Jugendvertreter hast du im Unternehmen die Auszubildenden oder jungen Leute vertreten und dann warst du ja Sprachrohr der Gewerkschaft.

Natürlich ist das eine ganz andere Welt. Ich habe im November 1969 in der Verwaltungsstelle in Hamburg angefangen. Die Kolleginnen und Kollegen waren unwahrscheinlich nett und haben mir geholfen, sie waren ja schon langjährig in ihren Funktionen tätig. Auch der damalige Geschäftsführer, den ich schon aus der Jugend- und Bildungsarbeit kannte, hat es mir leicht gemacht. Auch da hatte ich wieder großes Glück.

Wenn du jetzt zurückblickst auf diese 60 Jahre, gibt es irgendein Ereignis oder eine Sache, die dir besonders in Erinnerung geblieben ist oder die dich besonders geprägt hat in dieser langen Zeit?

Wie gesagt habe 1969 in der Verwaltungsstelle angefangen und wir hatten Anfang 70er-Jahre einige Streiks. Das war natürlich für jemanden, der gerade frisch in der hauptamtlichen Funktion ist eine große Herausforderung. Dann hatten wir in der Mineralölindustrie einen sehr erfolgreichen Streik. Der in der chemischen Industrie war ja am Ende nicht ganz so erfolgreich.

Warum?

Weil uns in den großen Unternehmen die notwendige Unterstützung gefehlt hat und eine solche Auseinandersetzung auf Bundesebene kann man natürlich nur gewinnen, wenn die großen Unternehmen, insbesondere damals Bayer, Hoechst und BASF sich gut am Streik beteiligen. Bei BASF hat das gut geklappt, bei Bayer und Hoechst eher nicht. Und diese offene Flanke hat dann die andere Seite genutzt und es gab einen Abschluss, der natürlich niemanden zufriedenstellen konnte.

Was war für dich der größte Erfolg während deiner Mitgliedschaft?

Ich glaube, was uns ausgezeichnet hat und auch heute noch auszeichnet war die innovative Tarifpolitik. Beispielsweise haben wir in dem Bezirk Nord-Mark Berlin, in dem ich damals tätig war das 13. Monatseinkommen zunächst für diesen Tarifbezirk in der chemischen Industrie durchsetzen können. Und als wir dann 1997 zur IGBCE wurden war das sicherlich prägendste und für mich persönlich schmerzhafteste Erlebnis die Beendigung des Steinkohlenbergbaus. Es ist eine furchtbare Situation, eine ganze Branche beerdigen zu müssen. Dass da niemand ins Bergfreie gefallen ist, das haben wir hinbekommen. Aber dennoch war die Branche und damit die Perspektive für den Beruf weg.

Wie blickst du heute auf die Fusion der drei Gewerkschaften?

Ich glaube, dass wir darauf stolz sein können. Wir haben diesen Prozess frühzeitig angestoßen. Es gab im DGB lange Diskussionen, ob die Branchenaufteilung der Gewerkschaften noch zeitgemäß ist. Wir haben uns viel Zeit genommen – von 1991 bis 1997 –, um wirklich auch alle mitzunehmen und allen das Gefühl zu geben, es ist eine Organisation, die ihr mit auf den Weg gebracht habt. Das war und ist glaube ich prägend für die Organisation.

Du bist 1997 zum ersten Vorsitzenden der neuen Gewerkschaft gewählt worden. Wie war das für dich – vom Jugend- und Auszubildendenvertreter zum Gewerkschaftschef?

Es war natürlich auch viel Glück dabei. Ich hatte immer Förderer, die mir bestimmte Dinge zugetraut haben. Ich hoffe, ich habe sie nicht enttäuscht.

Zwölf Jahre später – 2009 – hast du dann das Steuerrad im wortwörtlichen Sinne an Michael übergeben. Was hast du in der Zeit danach am meisten vermisst?

Man kann sich auch wenn man nicht mehr im Beruf steht gut beschäftigen. Ich glaube, Müßiggang ist nicht gut. Ich übe verschiedene ehrenamtliche Funktionen aus, war und bin noch in kleineren Aufsichtsräten aktiv und natürlich kann man auch vor Ort in der Parteiarbeit das eine oder andere auf den Weg bringen. Aber das Allerwichtigste ist, dass man das Gefühl hat, seine Nachfolge vernünftig auf den Weg gebracht zu haben. Die Organisation ist sich ihrer Tradition bewusst geblieben und pflegt sie nach wie vor. Und die IGBCE kann mit ihrem Vorsitzenden Michael Vassiliadis sehr zufrieden sein.

Gibt es auch etwas, was du überhaupt nicht vermisst hast?

Also diesen Druck, den muss man nicht haben. Und das schlechte Gewissen, dass man nicht jeden Wunsch erfüllen kann auch wenn es nur die Frage ist: Kannst du zur nächsten Betriebsversammlung kommen. Dieses wiederholte „Nein“ sagen. Damit muss man lernen umzugehen. Das belastet schon.

Was macht für dich Gewerkschaft aus? Was ist der Gewerkschaftsgedanke für dich?

Ohne Gewerkschaften und die Solidarität, die ja Kernelement von Gewerkschaften ist, würde es viele Tarifverträge und Arbeitszeitregelungen nicht geben. Leider wird das von vielen Beschäftigten nicht so wahrgenommen, sonst müsste die Zahl der Mitglieder ja deutlich größer sein. Viele denken das ist selbstverständlich und das war immer so. Aber, dass das mühsam erkämpft werden musste in vielen Jahrzehnten, das ist in den Köpfen oft nicht drin. Wir haben in den Betrieben, die wir betreuen, viel Akzeptanz für die Arbeit der Organisation. Trotzdem ist der Schritt zur Mitgliedschaft selten vollzogen worden.

Was würdest du jemanden sagen, der überlegt, jetzt Mitglied zu werden?

Im Prinzip das, was ich gerade gesagt habe. Und ob er denn tatsächlich glaubt, dass das alles von den Unternehmen freiwillig gegeben wird. Das kann keiner ernsthaft annehmen. Das tun die Unternehmen nie.

Meistens reicht dieses Argument ja leider nicht aus.

Nein. Aber zwingen kann man ihn ja auch nicht, Mitglied zu werden.

Wie hat sich das Gewerkschaftsleben in den sechs Jahrzehnten deiner Mitgliedschaft geändert?

Die Offenheit der Gewerkschaftsarbeit ist viel größer geworden. Die Gremien haben deutlich mehr Gestaltungs- und Entscheidungsmöglichkeiten. Die Jugendarbeit ist ein ganz wichtiges Element unserer Gewerkschaftsarbeit – zum einen was die Mitgliedschaft, aber auch was den Nachwuchs im hauptamtlichen Bereich angeht. Ich glaube da hat sich vieles sehr positiv verändert.

60 Jahre Mitgliedschaft, ganz ehrlich, hast du nie überlegt auszutreten?

Nein, der Gedanke ist mir nie gekommen. Dass man sich mal über das eine oder andere ärgert, das ist normal. Aber es geht ja mit der Mitgliedschaft im Grunde genommen darum, sich zu dem Grundgedanken gewerkschaftlicher Mitgestaltung, zur Solidarität, zu bekennen. Da kann man natürlich auch mal über den einen oder anderen Hauptamtlichen ärgern, aber das hat ja mit dem Grundgedanken nichts zu tun.

Bist du denn hier in der Ortsgruppe aktiv?

Nein, ich finde das darf man nicht. Weil ob man es will oder nicht, man ist immer noch der Vorsitzende. Nein, ich gehe zu den Versammlungen, zu den 1.-Mai-Veranstaltungen und zum Sommerfest und was es sonst so an Veranstaltungen gibt. Aber als ganz normales Ortsgruppenmitglied.

Gibt es etwas, was du uns noch mit auf den Weg geben magst?

Ich finde, ihr macht insgesamt eine gute Arbeit. Ihr seid innovativ und ich hoffe, dass ihr viele eurer Ideen auch umsetzen könnt. Das eine oder andere muss vermutlich auch mal durchgesetzt werden. Etwas Neues ist nicht immer gleich willkommen. Dazu muss man ein bisschen Atem haben und diejenigen, die nicht gleich Hurra schreien, die muss man verstehen und ihnen die Chance geben, mitgenommen zu werden. Dann haben beide gewonnen.