Betriebsräte-Jahrestagung

Modernisierung der Mitbestimmung

Der IG-BCE-Vorsitzende Michael Vassiliadis hat auf der 13. Betriebsräte-Jahrestagung in Hannover (7. bis 9. Oktober) seine Forderung nach einer Modernisierung des deutschen Mitbestimmungsmodells und des Betriebsverfassungsgesetzes erneuert.

BR-Jahrestagung 2020

Michael Vassiliadis, Vorsitzender der IG BCE

Foto: © Christian Burkert

Die anstehende digitale und klimagerechte Transformation von Industrie und Gesellschaft sei mit den bestehenden Instrumenten der Mitbestimmung nicht zu bewältigen, erläuterte er. Die Gewerkschaften müssten genau aufpassen, dass die Arbeitgeberseite die Corona-Krise nicht nutzen würden, um die Mitbestimmung aufzuweichen.

Beispiel Continental

Als Beispiel führte Vassiliadis den Zulieferkonzern Continental an, bei dem die Arbeitgeberseite im Aufsichtsrat vorige Woche gegen die Stimmen der Arbeitnehmervertreter ein massives Sparprogramm beschlossen hat, das unter anderem die Schließung des profitablen Conti-Reifenwerks in Aachen vorsieht. Die Verweigerung des Dialogs mit dem Sozialpartner zeige deutlich einen „sinkenden Respekt vor den bisherigen Konfliktlösungsmöglichkeiten“. Deswegen, so hob der IG-BCE-Vorsitzende hervor, „muss das doppelte Stimmrecht von Aufsichtsratsvorsitzenden fallen“, stattdessen müsste eine neutrale Person im Kontrollgremium sitzen, deren Stimme in Konfliktfällen den Ausschlag gebe. Grundsätzlich sei eine Modernisierung der Mitbestimmung und des Betriebsverfassungsgesetzes notwendig, weil die Instrumente der derzeit gültigen Version aus den 70er Jahren den Herausforderungen von Corona-Krise und Transformationsprozessen nicht ausreichen, um den Wandel sozialverträglich zu gestalten. Die Arbeitgeberseite habe durch das doppelte Stimmrecht des Aufsichtsratsvorsitzenden immer die Möglichkeit, die Mitbestimmung auszuhebeln.

Auch Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) ging in seinem Grußwort an die rund 100 Betriebsrätinnen und Betriebsräte, die an der dreitägigen Veranstaltung teilnehmen, auf den Fall Continental ein: Es sei wirtschaftlich nicht nachvollziehbar, weshalb  der Konzern ein profitables Werk wie Aachen schließen wolle. Gerade in der aktuellen schwierigen Situation sollten Unternehmen nicht nur auf die Rendite schauen, sondern darauf, dass sich die deutsche Sozialpartnerschaft jahrzehntelang bewährt habe. Die Mitbestimmung sei einer der Gründe, warum Deutschland im internationalen Vergleich sehr viel glimpflicher durch viele Krisen der Vergangenheit gekommen sei. Der SPD-Politiker versprach auch Rückhalt: „In der Krise brauchen wir mehr und nicht weniger Sozialpartnerschaft. Alles, was in diese Richtung geht, werden wir unterstützen“, erklärte er.

Digitalisierung als Chance

Francesco Grioli, Mitglied des geschäftsführenden Hauptvorstands der IG BCE, kritisierte das Verhalten von Continental und sagte: „Wir brauchen Verantwortung auch in dieser Zeit. Mitbestimmung ist keine Schönwetterveranstaltung.“ Die Mitbestimmung müsse vielmehr weiterentwickelt werden.

In der Digitalisierung sieht Grioli vor allem auch „viele Chancen“, die zur verbesserten Arbeits- und Lebensqualität der Menschen beitragen könne. So könne die Digitalisierung dazu beitragen, Arbeit sicherer zu organisieren oder nachhaltiger zu wirtschaften – dafür allerdings müsse man die Digitalisierung in die richtige Richtung lenken; „dorthin, wo sie den Menschen nützt“. Dafür brauche es Zukunftsvereinbarungen und Standortabsicherungen. Aus diesen Gründen habe man die umfangreiche Befragung der Beschäftigten – den Monitor Digitalisierung – durchgeführt sowie die Zukunftskommission Digitale Agenda gegründet, deren Ergebnisse jetzt vorliegen.

Betriebsrätearbeit in Corona-Zeiten

Die beiden Betriebsräte Anke Volmert von B.Braun in Melsungen und Jens-Helge Bork von Procter und Gamble vom Standort Euskirchen standen exemplarisch für die Schwierigkeiten, denen viele Betriebsräte während des ersten Corona-bedingten Shutdowns gegenüber gestanden sind – und teilweise immer noch gegenüberstehen.

Volmert erklärte, dass der Betriebsrat Teil des internen Corona-Krisenstabs ist und B.Braun als systemrelevanter Betrieb die Mengen in der Produktion steigern musste, da das Unternehmen unter anderem Materialien für Intensivstationen herstellt. Der Gesundheitsschutz der Mitarbeiter musste dabei jedoch gewährleistet werden; deshalb wurden die Beschäftigten mit Pandemie Sets ausgestattet, Schichten entzerrt und Personal aufgebaut. Die Betriebsversammlung wurde zunächst immer wieder verschoben, bis man schließlich Abteilungs-Versammlungen mit maximal 100 Teilnehmern unter Einhaltung der entsprechenden Hygiene-Regeln durchführte. Der Betriebsrat führte zudem eine tägliche Telefonkonferenz ein, die gut angenommen wurde. Diskussionen online zu führen, erfordere zwar Disziplin, sagte Volmert: „Aber das konnten wir gut etablieren.“

Bork berichtete, dass der Betriebsrat von Procter und Gamble in Euskirchen wie die meisten Betriebsräte zunächst vor einem großen Problem stand: „Online durchgeführte Betriebsversammlungen waren zum damaligen Zeitpunkt nicht rechtssicher.“ Daher führte der Betriebsrat unter Beachtung der Hygieneregeln eine Zeit lang noch Teilpräsenz-Sitzungen durch, bis das Betriebsverfassungsgesetz vorübergehend angepasst wurde. Gleichzeitig plante der Arbeitgeber Maßnahmen, die mitbestimmungspflichtig waren. Daher vereinbarte der Betriebsrat mit dem Arbeitgeber eine Regelungsabrede und besprach das Vorgehen mit der IG-BCE-Bezirksleitung. Zur Aufrechterhaltung der Mitbestimmung führte der Betriebsrat schließlich Videokonferenzen ein.

Reform des Betriebsverfassungsgesetzes gefordert

Von verschiedenen Seiten wurde eine Reform des 100-jährigen Betriebsverfassungsgesetzes gefordert, damit das Gesetz besser an die zunehmend von Digitalisierung und Globalisierung geprägte Arbeitswelt angepasst wird. Heribert Prantl, Jurist und Journalist der Süddeutschen Zeitung, betonte in seiner Rede: „Das Betriebsverfassungsgesetz ist ein unglaublich wichtiges Gesetz und ein Kernstück der Demokratie.“ Es regelte erstmals die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Betrieben – und das auch in den schwierigen Zeiten der Weimarer Republik. Doch die neue Arbeitswelt mit immer mehr Globalisierung, Digitalisierung und den Plattformökonomien mache eine Reform des Gesetzes notwendig: „Wir brauchen ein Update, um die Zukunft der Arbeitswelt ordentlich zu regeln.“

Das sah auch Karin Erhard, Mitglied des geschäftsführenden Hauptvorstands der IG BCE so: „Wir brauchen ein stärkeres Zugangsrecht zum Betrieb.“ Das sei notwendig, da der Ort der Arbeit immer mehr in Frage gestellt werde, Beschäftigte im Homeoffice arbeiteten und immer mehr in Betrieben digital ablaufe. Johanna Wenckebach vom Hugo Sinzheimer Institut für Arbeitsrecht stimmte zu und sagte: „Gerade durch die Mitbestimmung sind wir so gut durch die Krise gekommen.“ Der Gesamtbetriebsrats-Vorsitzende Lutz Pscherer von 50 Hertz Transmission meinte: „Mitbestimmung ist kein Gegner der Transformation – aber wir wollen mitgenommen werden.“

Rückkehr zur Normalität nicht verpassen

Bezogen auf die Corona-Krise meinte Erhard, dürfe man nicht den Zeitpunkt verpassen, ab dem man wieder mehr zur Normalität zurückkehren könne. So müsse man schauen, wann es erforderlich sein könnte, sich wieder zu treffen. Prantl warnte vor neuen Nachteilen für Beschäftigte: „Corona darf nicht dafür genutzt werden, um das wegzukriegen, was arbeitsrechtlich schon länger gewünscht ist.“ Ein Beispiel dafür sei, dass die nordrhein-westfälische Landesregierung die Sonntagsöffnungszeiten wieder einführen wolle und diese Regelung deshalb nicht im Ladenöffnungs-Gesetz verankern wolle, sondern in der Corona-Schutz-Verordnung. Stattdessen müsse grundsätzlich darüber nachgedacht werden, die Arbeitszeit zu verkürzen und Arbeit neu zu verteilen, um besser an die Lebensumstände der Beschäftigten angepasst zu sein: „Es braucht neue Offensiven zur Humanisierung der Arbeit“, bemerkte Prantl.