Automobilzulieferindustrie

Eine Branche im Wandel

Nach einem glorreichen Jahrzehnt steckt die Automobilindustrie in der Krise. Das betrifft längst auch die Zulieferer und damit zahlreiche Beschäftigten aus den Branchen der IG BCE.

Beschäftigte haben keine Angst vor Digitalisierung
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Lange ging es mit der Automobilindustrie nur bergauf. Im letzten Jahrzehnt steigerte sich die weltweite PKW-Produktion von unter 60 auf mehr als 80 Millionen im Jahr. Seit nun zwei Jahren laufen die Motoren der Branche nicht mehr rund. Angeführt von nicht erreichten umweltpolitischen Zielen, der Revolution der Antriebsarten und verfolgt von Digitalisierung sowie autonomen Fahren, zwingt der Technologiewandel die Automobilbranche zum Umdenken. Anders als bisher üblich, führen VW und Co. diesen Umbruch nicht mit innovativer deutscher Technik an. Sie schlittern viel mehr von einer negativen Schlagzeile zur Nächsten.

Die Auswirkungen bekommt auch die Zulieferindustrie zu spüren. Von rund einer Million Beschäftigten im Organisationsbereich der IG BCE arbeiten etwa 200.000 direkt oder indirekt für Automobilzulieferer, also rund jedes fünfte Mitglied. Der Wandel ist auch hier im vollen Gang. Der IG-BCE-Vorsitzende Michael Vassiliadis sieht die Branche von zwei Seiten in die Zange genommen. „Zum einen von der sich abschwächenden Auto-Konjunktur weltweit und dem Handelsstreit zwischen den USA, Europa und China. Zum anderen vom technologischen Wandel. Der Antriebsstrang ändert sich, und deshalb auch das gesamte Produkt Auto und die Komponenten, die verbaut werden.“

Vor Jahren haben die Autohersteller damit angefangen, weniger auf die eigene Fertigungstiefe zu setzen. Im Gegenzug wurden ihre Zulieferer immer stärker an den Entwicklungsprozessen beteiligt. Nun geraten die Automobilzulieferer und ihre Beschäftigten zunehmend unter Druck. Die zahlreichen Sonderanfertigungen, Spezialschrauben oder Motorteile werden plötzlich nicht mehr nachgefragt. Sogar der Zuliefererriese Continental hat den weltweiten Abschwung deutlich zu spüren bekommen. Allein in Deutschland werden drei Werke geschlossen und etwa 7000 Stellen gestrichen. Continentals Sparprogramm gilt als Maßstab dafür, wie hoch der Kostendruck innerhalb der Zuliefererbranche mittlerweile ist. Angesichts der schwächelnden Konjunktur zwingt der sinkende Autoabsatz, gepaart mit der Finanzierung zahlreicher Innovationen wie Batterien, Brennstoffzellen und Hochleistungselektronik, Zulieferer weltweit zu Kosteneinsparungen.

Um den Trend entgegenzuwirken, müssen alle Instrumente der Arbeitsmarktpolitik genutzt werden. Es bedarf kreativer, moderner und nachhaltiger Lösungen. Vor allem dann, wenn man bedenkt, dass die Transformation der Branche gleichzeitig auch zu neuen Personalanforderungen führt. Im Falle von Continental haben IG BCE, IG Metal und das Unternehmen selbst dafür gemeinsam ein Konzept entwickelt. Mit der Gründung des Instituts für Technologie und Transformation sollen die betroffenen Beschäftigten in Deutschland zusätzlich qualifiziert werden. Zum Start liegt der Fokus auf der Gruppe der Un- und Angelernten, denen Continental eine IHK-zertifizierte Weiterbildung zum Verfahrensmechaniker ermöglicht. Für die in mehrere Module aufgeteilte Ausbildung werden die Beschäftigten, bei gleichbleibendem Gehalt, aus ihren bisherigen Arbeitsbereichen freigestellt. „Ziel ist es, die Beschäftigungsfähigkeit der Mitarbeiter zu erhalten“ erklärt Dirk Nordmann, Betriebsratsvorsitzender der ContiTech AG in Hannover. „Selbst einfachere Tätigkeiten werden immer mehr durch komplexe Aufgaben ersetzt, die eine Ausbildung erfordern. Qualifizierung ist da der Schlüssel und die funktioniert langfristig nur über eine vernünftige Zusammenarbeit von Politik, Sozialpartnern und Unternehmen.“

Die vielen kleinen, oftmals kapitalschwachen Zulieferer, haben meist nicht so viel Handlungsspielraum. Die Beschäftigten sind in Sorge. „Sie stehen enorm unter Druck. Für sie geht es um ihre Existenz und die Auswirkungen sind schon jetzt brisant“, sagt Michael Vassiliadis. Stellenabbau hier, Werkschließungen dort. Laut Vassiliadis verfolge jeder Autohersteller eine eigene Strategie. Das erhöhe den Druck auf die Zulieferer zusätzlich. „Einige von ihnen verfallen in Managementmethoden der Vergangenheit, schließen Werke, verlagern Produktionen oder geben das Geschäft gänzlich auf.“ Es brauche einen Wandel, der die Beschäftigten mitnehme. „Wir dürfen die Unternehmen nicht überfordern und nicht einseitig auf das batteriebetriebene E-Auto setzen.“

Das macht sich auch bei den deutschen Raffinerien bemerkbar. Die norddeutschen Raffinerie Heide GmbH etwa verarbeitet jährlich rund 4,5 Millionen Tonnen Rohöl. Gut 70 Prozent davon gehen in die Produktion von Treibstoffen. Das deckt einen bedeutenden Anteil des in Schleswig-Holstein verbrauchten Benzin- und Dieseltreibstoffs. Die Raffinerie wird von einem US-amerikanischen Investor betrieben. Wird der deutsche Markt, durch die veränderten Marktgegebenheiten, für ihn uninteressant, drohe der Raffiniere womöglich das aus, befürchtet Claus-Peter Schmidtke, Betriebsratsvorsitzender der Raffinerie Heide GmbH.

Damit das nicht passiert, hat sich die Raffinerie mit den Unternehmen EDF Deutschland, Holcim Deutschland, OGE, Ørsted, thyssenkrupp Industrial Solutions, den Stadtwerken Heide, der Entwicklungsagentur Region Heide und der Fachhochschule Westküste zusammengetan. Gemeinsam wollen sie aus Offshore-Windenergie grünen Wasserstoff produzieren und die dabei entstehende Abwärme nutzen. Im Anschluss soll der Wasserstoff sowohl für die Produktion klimafreundlicher Flugzeug-Treibstoffe als auch in Gasnetze eingespeist werden. Bei der Treibstoffherstellung ohne fossile Brennstoffe soll unvermeidbares CO2 aus der regionalen Zementproduktion für den Herstellungsprozess eingesetzt werden. Das Besondere an dem Projekt ist die Verzahnung unterschiedlicher Stoffkreisläufe innerhalb einer bereits bestehenden regionalen Infrastruktur. „Das ist für die Raffinerie und ihre Partner ein Sprung in die Zukunft“, erläutert Claus-Peter Schmidtke. „Wir erhalten nicht nur Arbeitsplätze, sondern werden als Unternehmen mit klimafreundlicher Produktion für neue Beschäftigte attraktiver.“ Die Raffinerie Heide ist mit 560 Beschäftigten und 40 Auszubildenden der zweitgrößte Arbeitgeber der Region.

Für die Zukunft der Autoindustrie wird es von zentraler Bedeutung sein, die Wertschöpfungsketten vom Hersteller über die Zulieferer, bis hin zur Grundstoffindustrie zu erhalten. Beispiele wie das der Raffinerie Heide zeigen die Chancen auf, die in der Transformation liegen. Dafür bedarf es der entsprechenden Bedingungen und zu denen gehören hochqualifizierte Beschäftigung, gute Arbeitsplätze und Mitbestimmung. Gelingt der Prozess, bleibt auch das Qualitätsmerkmal „Made in Germany“ erhalten.