70 Jahre Montanmitbestimmung

„Veränderungen können nur gemeinsam mit Beschäftigten erfolgen“

Vor 70 Jahren beschloss der Deutsche Bundestag das Montan-Mitbestimmungsgesetz (MontanMitbestG). Ein guter Anlass, um inne und Rückschau zu halten und gleichzeitig den Blick in die Zukunft zu richten.

70 Jahre Montanmitbestimmung

Welche Erfahrungen hat man in dieser langen Zeit mit der Montan-Mitbestimmung gemacht? Wie ist es um die Unternehmensmitbestimmung in der Gegenwart bestellt? Und wie könnte es weitergehen? Um diese wichtigen Themen drehte es sich einer gut besuchten Online-Veranstaltung des Fördervereins beim Institut für soziale Bewegungen der Ruhr-Universität Bochum und des Vereins Freunde des Hoesch-Museums. Rund 120 Teilnehmende lauschten rund zweieinhalb Stunden lang den interessanten Ausführungen und Diskussionen der Referierenden, zu denen auch der IG BCE-Vorsitzende Michael Vassiliadis gehörte.

Das Edelste ist die Montan-Mitbestimmung

Michael Vassiliadis blickte in seiner ausführlichen Keynote und den späteren Panel-Diskussionen kurz zurück und umriss die Geschichte der Unternehmensmitbestimmung in Deutschland. „Das Edelste, das wir kennen, ist die Montan-Mitbestimmung“, konstatierte er. Das Gesetz sieht einen paritätisch besetzten Aufsichtsrat und eine*n Arbeitsdirektor*in vor. Dieser Posten kann nicht gegen die Stimmen der Beschäftigtenvertretung bestellt werden. Zusätzlich ist eine weitere, neutrale Person, Mitglied des Aufsichtsrats. Sie ist bei einem Abstimmungspatt das „Zünglein an der Waage“. Mit dem MontanMitbestG sei in den Kernbranchen eines Industrielandes einer der Grundsteine der Sozialen Marktwirtschaft gelegt worden, sagte der IG BCE-Vorsitzende. Die späteren Regelungen des Betriebsverfassungsgesetzes und der weiteren Mitbestimmungsgesetze seien weit dahinter zurückgeblieben.

Eine neue Fundamentaldebatte anstoßen

Jetzt, 70 Jahre später, sei der richtige Zeitpunkt, um eine neue Fundamentaldebatte zu diesem Thema anzustoßen und diese Debatte auch mit Nachdruck zu führen – und genau das habe die IG BCE mit der Mitbestimmungsinitiative getan. Das Gute sei, so ergänzte der Vorsitzende später: „Man hört uns bei diesem Thema jetzt zu“. Es gebe offensichtlich ein Gefühl dafür, dass Transformation und Krisenbewältigung in Zukunft sozialen Konfliktstoff in sich bergen. „Wir müssen jetzt einen Schritt nach vorne machen“. Das Doppelstimmrecht der*s Aufsichtsratsvorsitzenden in großen Kapitalgesellschaften lasse sich mit demokratischen Elementen nicht in Einklang bringen. Echte Mitbestimmung bedeute, dass beide Seiten gleichberechtigt gemeinsam bestimmen, betonte der IG-BCE-Vorsitzende.

Zahlen untermauern das wichtige Anliegen

Die IG BCE hat, um das Anliegen mit Zahlen untermauern zu können, kürzlich die Hans-Böckler-Stiftung damit beauftragt, stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende zu befragen. 15,9 Prozent der Befragten hatten angegeben, dass das Doppelstimmrecht die Arbeit im Aufsichtsrat stark negativ behindere. 47,7 Prozent gaben immerhin an, dass es sich geringfügig negativ auswirke. Als besonders krasses negatives Beispiel, in dem das doppelte Stimmrecht gezogen und so eine Entscheidung herbeigeführt worden war, nannte er die jüngsten Ereignisse im Continental-Konzern: Dort war Ende des vergangenen Jahres gegen die Stimmen der gesamten Arbeitnehmerbank im Aufsichtsrat die Schließung eines profitablen Reifenwerks beschlossen worden.

Zu diesem Fall konnte später auch Christiane Benner, zweite Vorsitzende der IG Metall und Aufsichtsrätin bei Continental, etwas hinzufügen. Sie betonte in ihrem Grußwort und während der Diskussionen unter anderem, welch wichtigen Stellenwert die Unternehmensmitbestimmung habe und dass die betriebliche Mitbestimmung anschließend als Sprachrohr in die Betriebe fungiere. In der Folge der oben genannten Entscheidung bei Continental habe man immerhin eine deutliche Zunahme an neuen Gewerkschaftsmitgliedern in den betroffenen Unternehmen verzeichnen können.

Weitere wichtige Aspekte der Mitbestimmung

Viele weitere Aspekte der Unternehmensmitbestimmung kamen in den anderen Wortbeiträgen zur Sprache. Werner Nass, von 1992 bis 1998 Gesamtbetriebsratsvorsitzender der Krupp-Hoesch AG war und Mitglied des Aufsichtsrats, beschrieb, welche Erfahrungen er in seiner aktiven Zeit mit der Montan-Mitbestimmung gemacht hat und wo es Probleme gegeben hat. Mitbestimmung sei bei Hoesch sehr lange tatsächlich gelebt worden. Fast alle Arbeiter*innen seien gewerkschaftlich organisiert gewesen. Wenn es die Montan-Mitbestimmung nicht gegeben hätte, hätte es bei Betriebsauflösungen und -fusionen im Ruhrgebiet Massenentlassungen gegeben. Stattdessen: „Bei uns ist keiner ins Bergfreie gefallen“, betonte Werner Nass.

Ludwig Ladzinski, von 2001 bis 2013 Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats RAG Deutsche Steinkohle, stellte heraus, wie wichtig und gut die Montan-Mitbestimmung auch im Hinblick auf den Arbeitsschutz gewesen sei. „Wir haben es hinbekommen, dass Arbeitsschutz und Produktion den gleichen Stellenwert erhielten“, sagte er. Später sei es „ums nackte Überleben“ gegangen. Durch kluge Verhandlungen und Strategien sei es jedoch gelungen, von den 650 000 einstigen Bergleuten fast alle weiterzuvermitteln. „Wir sind fast ohne betriebsbedingte Kündigungen auszukommen.“

Ziel: Mitbestimmung unabhängig vom Unternehmenssitz

Vielen Unternehmen, so wusste Daniel Hay, Direktor des Instituts für Mitbestimmung und Unternehmensführung (IMU) der Hans-Böckler-Stiftung und stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der Rheinmetall AG, gehe es bei strategischen Entscheidungen um die reine Gewinnmaximierung. Deswegen versuchten sie mit großem Geschick, die Mitbestimmung zum Beispiel durch Verlegung des Unternehmenssitzes ins Ausland auszuhebeln. „Aber die Unternehmen haben auch eine gesellschaftspolitische Aufgabe“, betonte er. Deswegen müsse es ein wichtiges Ziel sein, Mitbestimmung unabhängig vom Ort des Unternehmens und der rechtlichen Organisation zu machen. Dies unterstrich auch Maxi Leuchters vom IMU, die als Aufsichtsrätin der genossenschaftlich organisierten PSD Bank Rhein-Ruhr eG Einblick in eine andere Branche gab. „Wir stehen vor einer großen Transformation, auch in unserer Branche“. Und auch hier sei der Ansatz der IG BCE der richtige: „Veränderungen können nur gemeinsam mit Beschäftigten erfolgen“.

Blick ins Nachbarland Großbritannien

Stefan Berger, erster Vorsitzender der Stiftung Geschichte des Ruhrgebiets, die das Archiv der IG BCE beherbergt, blickte ins Nachbarland Großbritannien. Er stellte kurz die Entwicklung der Gewerkschaften in Großbritannien und Deutschland gegenüber, da er selbst 25 Jahre lang in Großbritannien tätig gewesen ist und die Arbeiterbewegung einst von den Briten ins Leben gerufen wurde. Über viele Jahre hinweg habe sich die National Union of Mineworkers (NUM) gut weiterentwickelt und auch viel für die Arbeiter*innen erreicht. „Heute allerdings sind sie nur noch ein Schatten ihrer selbst“. Bedeutungslos und ohne Einfluss. Im Gegensatz hierzu stünden die Gewerkschaften in Deutschland sehr viel besser da.

Die Moderation der Veranstaltung lag bei Karl Lauschke, Vorsitzender des Vereins Freunde des Hoesch Museums, und Wolfgang Jäger, Vorsitzender des Fördervereins beim Institut für soziale Bewegungen der Ruhr-Universität Bochum.

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